Gesamtkonzept der Forschergruppe

Zusammenfassung

Die Entwicklung der modernen sprachanalytischen Philosophie hat gezeigt, daß Fortschritte in der "inhaltlichen" Philosophie eng mit Fortschritten in der "formalen" Logik verknüpft sind. Die Einbeziehung logischer Überlegungen in die Behandlung erkenntnistheoretischer und ontologischer Probleme trägt maßgeblich zu deren Lösung bzw. Weiterentwicklung bei, wie auch umgekehrt erkenntnistheoretische und ontologische Einsichten auf die Formulierung logischer Grundbegriffe zurückwirken. Mit der Einrichtung einer Forschergruppe zum Thema "Logik in der Philosophie" soll in einer Reihe breit angelegter beispielhafter Projekte die Produktivität einer Verzahnung von Philosophie und Logik deutlich gemacht und der dahinter stehende Ansatz zu einer philosophischen Methodologie zur Geltung gebracht werden. Sowohl die inhaltliche Lage der Philosophie in Deutschland als auch die institutionelle und personelle Konstellation im Bereich Logik/Philosophie an den Universitäten Konstanz und Tübingen lassen dieses Projekt zum gegenwärtigen Zeitpunkt als besonders aussichtsreich erscheinen.

Zur Lage der Logik in der Philosophie

Daß die Logik ein konstitutiver Bestandteil der Philosophie ist, war seit der Antike bis zum Beginn der Neuzeit unbestritten. In der Neuzeit wird das Bild etwas uneinheitlicher. Namhafte Philosophen, die sehr viel für die Entwicklung der neuzeitlichen Naturwissenschaften übrig hatten, z.B. Descartes oder Locke, schreiben verächtlich über die im philosophischen Curriculum gelehrte Logik. Der Grund war unter anderem der, daß sie nicht einsahen, welchen Beitrag die Logik - im Gegensatz etwa zur Arithmetik - für die Naturwissenschaft und ihre Methodologie leisten könnte. Hinzu kam die Tatsache, daß die real existierende Logik selten auf dem Stand der Erkenntnis war, auf dem sie hätte sein können. Der Stand der Forschung etwa zur Aussagenlogik (in der Stoa), zur Suppositionslehre und zur Lehre von den consequentiae (im Mittelalter) hat sich in der Logiktradition nicht immer durchgehalten - viele erreichte Erkenntnisse waren in Vergessenheit geraten. Es gab allerdings in der Neuzeit auch gegenläufige Tendenzen, vor allem bei Leibniz, der erstmalig eine Beziehung zwischen logischem und arithmetischem Operieren (d.h. zwischen Logik und Rechnen) sah und die fundamentale Rolle der Logik im Erkenntnisprozeß hervorhob. Eine unstreitige Rolle hat sich die Logik erst mit ihrer Entwicklung zur modernen Logik erworben. Aufgrund der Arbeiten von Frege und Russell sowie des logischen Positivismus war klar geworden, daß die Logik eine fundamentale Rolle sowohl für die Grundlagen der Mathematik als auch für die Methodologie der exakten Naturwissenschaften spielte.

Dies ging allerdings einher mit einer Verselbständigung der Logik außerhalb der Philosophie. Als "Mathematische Logik" ist sie eine eigenständige Disziplin innerhalb der Mathematik geworden. Auch in Informatik und Linguistik hat sich die Logik als Grunddisziplin etabliert, vor allem im Rahmen der Semantik von Programmiersprachen bzw. von natürlichen Sprachen. Dem Umfang nach (Universitätsstellen, Zahl und Umfang der Publikationen) ist die Logik in diesen Bereichen insgesamt heute weit stärker vertreten als in der Philosophie.

Die systematische Bedeutung der Logik in der Philosophie besteht jedoch weiterhin. Ihre Signifikanz ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr erkannt worden. Einmal hat dies mit der sprachanalytischen Wendung der Philosophie zu tun. Man hat eingesehen, daß die Lösung vieler philosophischer Probleme bzw. auch schon die Einsicht in die Natur dieser Probleme wesentlich dadurch erleichtert wird, daß man auf ihre sprachliche Form reflektiert.Und sprachliche Form ist in solchen Kontexten meist logische Form, d.h. Zusammensetzung aus Bestandteilen, die sich als Komposition im Sinne einer logischen Semantik beschreiben läßt. Die logische Syntax und Semantik liefert also Einsichten zur Lösung von Problemen, die sich sonst nur schwer oder gar nicht gewinnen lassen. Berühmte ältere Beispiele sind Freges Behandlung des Existenzbegriffs unter Verwendung seiner Analyse quantifizierter Aussagen, Russells Kennzeichnungstheorie als Kritik der naiven Ontologie und Quines Verknüpfung ontologischer Annahmen mit dem Wert gebundener Variablen, ein neueres Beispiel ist Kripkes durch logische Analyse gewonnene Theorie der metaphysischen Notwendigkeit. Umgekehrt hat die sprachanalytische Formulierung von Problemen die Logik stimuliert, insofern sie neue Entwicklungen der logischen Ausdrucksmittel hervorgebracht hat. Hervorstechende Beispiele sind hier die Entwicklung von intensionalen Logiken zur Formalisierung von propositionalen Einstellungen, von nichtmonotonen Logiken zur Formalisierung des Schließens unter unvollständiger Information sowie die Logik der Konditionalsätze. In allen Fällen besteht eine enge Verknüpfung zwischen formallogischen Überlegungen und "inhaltlichen" Diskussionen. Beide Aspekte gehen ineinander über und befruchten sich wechselseitig.

Ziel der Forschergruppe "Logik in der Philosophie"

Die Beziehung zwischen "inhaltlicher" Philosophie und (philosophischer) Logik ist weit enger als etwa die zwischen "inhaltlicher" Mathematik und (mathematischer) Logik. Obwohl die Logik sicherlich starke Impulse für gewisse mathematische Gebiete gegeben hat, geht im ganzen die "inhaltliche" Mathematik ihren Gang auch ohne die Logik. So wird etwa ein Funktionalanalytiker oder Topologe kaum auf logische Fragestellungen stoßen, wenn er nicht an Begründungsfragen interessiert ist. Das Verhältnis zwischen Philosophie und Logik ist hingegen nicht das zwischen einer Disziplin und ihrer Begründung. Manche erkenntnistheoretische und ontologische Fragen sind logische Fragen, wie die oben genannten Beispiele zeigen. Ähnliches gilt auch für die praktische Philosophie und die Ästhetik. Tragfähige Handlungstheorien müssen z.B. präferenzlogische oder entscheidungstheoretische Aspekte berücksichtigen. Und ästhetische Überlegungen werden zeichentheoretische und letztlich semantische Fragen in Bezug auf Kunstwerke einbeziehen. Philosophie ohne Berücksichtigung logischer Aspekte ist also heute schlichtweg nicht mehr vorstellbar. (Daß Logik in der Regel nicht hinreicht, also allein keine philosophischen Probleme löst, ist natürlich auch klar.)

Diese Einsicht hat sich im englischsprachigen Bereich weitaus stärker durchgesetzt als im deutschen Sprachbereich, sowohl was die institutionelle als auch was die inhaltliche Ausrichtung der Philosophie angeht. Die Verknüpfung von erkenntnistheoretischen und ontologischen Problemen mit logischen Fragestellungen ist vor allem in der angelsächsischen, aber etwa auch in der skandinavischen, holländischen und polnischen Philosophie selbstverständlich. In Deutschland sind hier in den letzten 30 Jahren zwar große Fortschritte erzielt worden, zu dem unter anderem die Lorenzen- und die Stegmüller-Schule beigetragen haben, deren gemeinsamer Tenor (trotz unterschiedlicher Programme) sich mit dem Slogan "Logik in der Philosophie" oder noch besser "Logik in die Philosophie!" gar nicht so schlecht beschreiben läßt (man vergleiche etwa Lorenzens Vortrag "Collegium Logicum" [1962, in "Methodisches Denken", 1974] und Stegmüllers "Sprache und Logik" [Studium Generale 9 (1956)]). Ein wirklich zündender Durchbruch ist von diesen Schulen und anderen verdienstvollen Einzelaktivitäten in Deutschland jedoch bisher nicht ausgegangen.

Für die Idee, die Verzahnung von Logik und "inhaltlicher" Philosophie weiterzubringen und, wenn möglich, dauerhaft zu etablieren, scheint die Situation jetzt jedoch günstig zu sein. Einmal zeigen sich auch in denjenigen Bereichen der Philosophie, die traditionell der formalen Logik eher fern standen, gewisse analytische Tendenzen. Die neuere Entwicklung in der von ihrer Grundausrichtung her transzendentalphilosophisch-idealistischen Henrich-Schule ist ein Beispiel dafür. Die Offenheit gegenüber der Verwendung analytisch-logischer Methoden wächst also. Umgekehrt steigt in der logikorientierten Philosophie das Interesse, ihre Werkzeuge bei der Behandlung traditionell erkenntnistheoretischer und ontologischer Probleme einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist z.B. die Dynamisierung von logischen Grundbegriffen zu nennen, deren Einbeziehung für die Behandlung solcher Probleme grundlegend ist, d.h. die Berücksichtigung der zeitlichen Komponente oder der Veränderung. So hat man in der neueren Logik-Diskussion den Begriff der Revision von Theorien in einem ganz allgemeinen Sinne untersucht, der beliebige Überzeugungsinhalte einschließt und nicht auf Theorien im Sinne der Wissenschaftstheorie eingeschränkt ist.

Die Forschergruppe hat also als Leitvorstellung von philosophischer Methodologie, daß bei der Behandlung philosophischer Probleme immer auch die logische Komponente, sofern eine solche vorhanden ist, mitbehandelt und diskutiert wird - wobei sie von der These ausgeht, daß es eine solche signifikante logische Komponente in den meisten Fällen tatsächlich gibt. Umgekehrt ist die Leitvorstellung von Logik in der Philosophie, daß bei der Wahl und Diskussion ihrer Grundbegriffe die philosophische Problemlage präsent sein muß.

Das richtet sich nicht gegen eine mit mathematischen Hilfsmitteln betriebene Logik. Die Forschergruppe beabsichtigt keine Frontstellung gegen die Logik in Informatik, Linguistik und Mathematik. Vielmehr geht es ihr darum, in exemplarischer Weise produktive Entwicklungen der neuen Logik, wozu eben auch die mathematische Logik, die Logik in der Linguistik und die Logik in der Informatik gehören, aufzunehmen und für die Lösung philosophischer Probleme fruchtbar zu machen.

Die besondere Konstellation der Konstanzer/Tübinger Gruppe

Die Verbindung von Logik und Philosophie weiterzubringen und in der deutschen Philosophie durch exemplarische Projekte besser zu etablieren, ist eine Aufgabe, für die das Instrument der Forschergruppe der DFG maßgeschneidert ist. Obwohl sich die Wissenschaftler, die die Forschergruppe tragen, natürlich nicht mit Figuren wie Reichenbach, Schlick, Carnap oder Tarski messen können und wollen, sind unsere idealen Vorbilder z.B. der Wiener Kreis, die Berliner Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie oder die Warschau-Lemberger Schule, in denen große Einzelleistungen durch die Dynamik der Gruppe erheblich gefördert worden sind.

Für die Einrichtung einer Forschergruppe muß eine kritische Masse an einem Ort vorhanden sein. Dies ist aufgrund der Vereinzelung der Logik in der Philosophie in Deutschland bisher nicht der Fall. Die logische Landschaft in der deutschen Philosophie ist recht zersplittert. Viele philosophische Institute in Deutschland haben zwar inzwischen eine Logikprofessur. Auch gehört Logik in den meisten Philosophie-Studiengängen zum Pflichtpensum im Hauptfach. Darüber hinaus ist jedoch der Zusammenhang innerhalb der Logik sowie der zwischen Logik und dem Rest der Philosophie eher schwach ausgeprägt. Die herausragenden Logiker in der deutschen Philosophie sind Einzelkämpfer.

In Konstanz und Tübingen liegt eine in Deutschland zur Zeit einmalige Situation vor, was den Bereich "Logik in der Philosophie" angeht:

Diese existierenden Strukturen werden durch die Forschergruppe "Logik in der Philosophie" auf eine institutionelle Grundlage gestellt, konzentriert und verstärkt.

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